Vertrieb in Zeiten von Corona - und danach

Ein Fachbeitrag von Dr. Christoph Wildhaber, Geschäftsführer Schweizer Franchise Verband, und Melanie Käser, Geschäftsstelle Zürich Schweizer Franchise Verband, beide Rechtsanwälte bei Streichenberg Rechtsanwälte, Zürich.

Die Corona-Krise beherrscht seit mehreren Wochen die Welt. Da und dort hat sich die Schockstarre gelöst und die notwendigen Notfallmassnahmen wurden von den Unternehmen eingeleitet. Die ersten Ergebnisse daraus sind bereits erkennbar.

Experten haben uns erklärt, wie man mit Themen wie Kurzarbeitsentschädigung, Inanspruchnahme staatlicher Kredite, Gesundheitsschutz für Personal/Home Office, Meetings der dezentralen Kommunikation und Kundenansprache von Corona umgehen soll. Dies soll bewusst nicht das Thema dieses Artikels sein.

Vielmehr wollen wir hier vertriebstypische Themen adressieren und (mutig) bereits den Blick in die Zukunft richten. Man soll trotz allem nicht alles negativ sehen, auch wenn die Probleme im Vertrieb in vielen Branchen kaum zu unterschätzen sind.

Wer als Geschäftsinhaber mit seinem Vermieter hadert und im Dickicht der staatlichen Hilfen stecken bleibt, empfindet sich oft als hilflos. Glücklich jenes Vertriebssystem, das genügend Reserven auf der hohen Kante hat oder seine Fixkosten kurzfristig drastisch reduzieren kann. An die Zukunft zu denken ist dennoch nicht verboten und vermutlich sogar das richtige Instrument: Der Lockdown wird nicht ewig dauern und trotzdem werden ihn nicht alle Unternehmen überleben. Doch dass gerade aktuell gut geführte Vertriebssysteme langfristig eine Chance haben, steht ausser Frage.

Den durch die Corona-Krise erschütterten «Vertriebsgeist» gilt es zu erhalten.

 

Aber wie kann und soll ein Vertriebssystem kurz- bis mittelfristig auf die aktuelle Situation reagieren? Was kann Corona langfristig für ein Vertriebssystem bedeuten?

Im Fokus dieses Beitrages stehen Vertriebssysteme, die eine konzeptionelle Integration des Vertriebspartners vorsehen. Besonders Franchisesysteme, Agenturnetzwerke und Alleinvertriebssysteme sind gefordert. Denn erinnern wir uns: gerade solche Vertriebsgruppierungen beinhalten eine ausgeprägte Fürsorgepflicht des «Systemgebers». Franchisegeber, Agenturgeber, Lieferanten im einem Alleinvertriebssystem müssen jetzt vor allem eines tun: sich um den Vertriebspartner kümmern!

 

Konzeptanpassungen, Formatänderungen

Wir vertreten die Ansicht, dass sich Systemgeber in der jetzigen Situation gut daran tun, über kurzfristige und ggf. befristete Konzeptanpassungen nachzudenken und diese, wenn möglich, rasch umsetzen.

Einerseits ist dies je nach Geschäftsfeld unerlässlich, um überhaupt weiter zu existieren, andererseits kann sich dies aufgrund der rechtlichen Ausgangslage aufzwingen. Franchisegeber haben bezüglich ihrem System nämlich rechtlich eine sogenannte Genussverschaffungs- und Genusserhaltungspflicht ggü. ihren Franchisenehmern/Vertriebspartnern. Je integrierter ein System desto grösser auch diese Fürsorgepflicht des Systemgebers. Darauf hat der Vertriebspartner Anspruch. Nichts zu tun ist im Moment keine Option (natürlich ist die Wirtschaftlichkeit solcher Massnahmen Grundvoraussetzung dafür). Jeder Systemgeber sollte sich also mindestens die folgenden Fragen stellen:

  • Welche Änderungen am Vertriebssystem sind zwecks Überleben der Corona-Krise unerlässlich und darüber hinaus auch für die zukünftige Tätigkeit nutzbar? Sind kurzfristige Formatänderungen denkbar und wirtschaftlich sinnvoll (etwa die Reduktion von Convenience Shops auf Angebote eines Grundversorgers oder Onlineangebote mit Übungs-Videos im Fitnessbereich).
  • Welche alternativen Absatzkanäle drängen sich aktuell für den Vertrieb auf, können gegebenenfalls aber später weiter ausgebaut werden und innovieren das System sogar (Stichwort E-Commerce, Home Delivery, etc.)?
  • Sind Kooperationen analog dem Modell von McDonald’s und Aldi auch in anderen Branchen denkbar?
  • Für international tätige Unternehmen stellt sich zudem die Frage, welche Märkte prioritär behandelt werden sollen, da gewisse Regierungen bereits wieder Wirtschaftslockerungen in die Wege geleitet oder in Aussicht gestellt haben.

Ein Brainstorming über den Tellerrand und das bisherige Systemkonzept hinaus empfiehlt sich in der jetzigen Situation. Dabei muss dies nicht alleine Sache des Systemgebers sein. Kommunikation ist jetzt gefragt. Denn Innovation ist nicht das Privileg des Systemgebers. Warum daher nicht die Systempartner in diesen Prozess miteinbeziehen und einen entsprechenden Austausch organisieren (namentlich in jenen Branchen, wo das Geschäft aufgrund behördlicher Schliessung komplett weggefallen ist und die Partner entsprechend wenigstens teilweise zeitliche Ressourcen zur Verfügung haben)?

Sind solche kurzfristigen Konzeptanpassungen nicht möglich für Ihr System, dann nehmen Sie Projekte an die Hand, welche Sie liegen gelassen haben und nutzen Sie die Zeit dafür, die Systemzentrale auf Vordermann zu bringen. Es wird eine Zeit «nach Corona» geben. Daher:

  • Sind die Systemunterlagen à jour?
  • Wollte man nicht schon lange die Trainingsunterlagen aktualisieren?
  • Das digitale Rekrutierungsprojekt wurde aufgeschoben? Jetzt ist Zeit dafür.
  • E-Learning kann man jetzt an die Hand nehmen. Die Vertriebspartner wünschen sich schon seit langem weniger Präsenzveranstaltungen.
  • Wollte man nicht schon ewig einen «CEO Letter» lancieren? Jetzt wäre wahrlich eine gute Gelegenheit in Zeiten des Social Distancing.

 

Weichenstellung für die Zukunft («Reimagine the System»)

Warum solche grundlegenden Anpassungen, wenn absehbar ist, dass die Corona-Krise irgendwann vorbeigeht? Weil aus unserer Sicht die Krise dazu genutzt werden sollte, das eigene Vertriebssystem zu überdenken und für die Zukunft noch attraktiver zu machen. So schwierig es klingt – nutzen wir die Zeit!

In der jetzigen Phase wird sich nämlich zeigen, ob ein integriertes System – wie namentlich das Franchising – nur ein reines «Schönwettersystem» war oder eben auch krisenresistent ist. Da und dort werden sich Vertriebspartner fragen, ob nicht die Corona-Krise gerade Gelegenheit zum lange gehegten Wunsch zum Ausstieg aus dem System bietet. Denn, in Systemen, deren Partner eher lose miteinander verbunden sind, ist das Risiko höher, dass sich Partner voneinander trennen. Doch auch bei integrierten Systemen, wo zwischen den Partnern eine höhere Abhängigkeit / tiefere Beziehung besteht, ist dieses Risiko latent vorhanden.

Die Pflicht zur Weiterentwicklung eines integrierten Vertriebssystems ist im Bereich des Franchising, aber auch bei Agenturen systemimmanent. Dann und wann haben sich Systemgeber auf ihren Lorbeeren der Vergangenheit ausgeruht und bieten dem Systemnehmer über die Zeit immer weniger. Innovation geht vergessen. Dies führt zu Unzufriedenheit seitens des Systemnehmers und kann schliesslich zu dessen Abwendung vom System führen. Die richtige Systemführung durch eine starke Systemzentrale im jetzigen Moment kann da bereits die Weichen für die zukünftige Zusammenarbeit mit den Partnern stellen; vor allem wenn diese sehen, dass ihr System auch in Krisenzeiten zusammenhält.

 

In Alternativen / Varianten denken

Aus der Not eine Tugend machen: Alternativen können sich auch im Bereich des Supply Chain Managements ergeben. Sind Ihre Systemlieferanten aufgrund der aktuellen Krise ausgefallen oder liefern nur verzögert, Sie selber könnten Ihr System aber noch führen (bspw. weil Sie ein Take Away System betreiben)? Denken Sie über Alternativen nach, welche Ihnen auch für die Zukunft einen Nutzen bringen. Allenfalls können Sie oder Ihre Franchisenehmer Produkte lokal beziehen. Ebenfalls nicht auszuschliessen ist, dass Sie sich mit Konkurrenten zusammentun, welche im Moment die gleichen Probleme haben.

Unternehmer haben immer in Alternativen und Varianten zu denken, denn es gibt – wie die aktuelle Situation vor Augen führt – keine Garantie für die langfristige Beständigkeit der eigenen Idee. Überlegen Sie sich, welche Themen eine proaktive Herangehensweise Ihrerseits benötigen (etwa bei starker Abhängigkeit von Lieferanten) und bei welchen Sie es sich leisten können, eher reaktiv zu agieren (wenn Ihre Lager noch gut gefüllt sind).

 

Kommunikation

Krisen sind die Zeiten, wo sich gute Kommunikation bewährt. Die Vertriebspartner brauchen im Moment mehr und häufiger Informationen von Seiten des Systemgebers. Kommunikationsexperten sagen uns, dass man in schwierigen Zeiten 2-3 Mal mehr als üblich kommunizieren muss. Schaffen Sie ein Umfeld der Zuversicht für sich und Ihre Vertriebspartner. Die richtige Kommunikation kann helfen, unnötige und zeitraubende Diskussionen zu vermeiden. Wichtig ist jetzt die Konzentration auf das Vertriebskonzept.

Geben Sie Ihren Vertriebspartnern Instrumente an die Hand, mit welchen sie ggü. ihren Anspruchsgruppen (Mitarbeiter, Vermieter) kommunizieren können und treten Sie als System vereint gegenüber Aussen auf.

Einzelne Systeme haben ihren Vertriebspartnern FAQ für die Mitarbeitenden vorbereitet, eine Hotline eingerichtet, Standardanträge für Kurzarbeit erstellt und das Local Store Marketing angepasst. Nicht um den Vertriebspartner zu bevormunden, sondern als Hilfestellung und auch aus Gründen der Einheitlichkeit. 

Eine starke und vor allem sichtbare Systemzentrale wird sich in der jetzigen Situation bewähren. Die Vertriebspartner sind in integrierten System wie dem Franchising das wichtigste Element im System, dieses muss aktuell etwas mehr gestützt werden als sonst. Das erwarten die Franchisenehmer.

 

Kennen Sie Ihre Rechte - Legal Engineering in Zeiten von Corona

Selbstverständlich stellen sich aufgrund der jetzigen Situation auch viele rechtliche Fragen. Es zeigt sich aktuell deutlich, bei welchen Systemen das «Legal Engineering» des eigenen Systems echt Teil des Risikomanagements ist oder nur «Fassade». Wie belastbar auch die rechtliche Organisation ist, zeigt sich oft jetzt. Wichtig ist, dass möglichst Klarheit beim Systemgeber über seine Rechtsposition besteht. Dazu wurde ein eigenes FAQ zu typischen aktuellen rechtlichen Themen erarbeitet. Dieses ist separat abrufbar. Darin wird kursorisch auf Themen zur Franchisegebühr, Miete, Lieferantenbeziehungen, Versicherungen, Arbeitsrecht und Gesellschaftsrecht eingegangen. Wir sind der Meinung, dass im jetzigen Moment jedoch nicht dringlich versucht werden soll, um jeden Preis aktuell die eigene Rechtsposition (namentlich nicht gerichtlich) durchzusetzen. Dafür bleibt genügend Zeit, wenn die Gerichte ihre Türen wieder ganz geöffnet haben. Darüber hinaus sind viele Rechtsfragen im Moment schlicht auch noch nicht abschliessend geklärt. Wo rechtswahrend aber Massnahmen getroffen werden sollen, sind solche einzuleiten.

 

Verlierer wird es trotzdem geben

Selbstverständlich wird die Krise auch im Bereich integrierter Vertriebssysteme Verlierer mit sich bringen, sowohl auf Seiten Systemnehmer als auch Systemgeber (Stichwort Konkurs Vapiano). In solchen Fällen gilt es selbstverständlich, sich auf die Minimierung des Schadens zu konzentrieren (und wo vorhanden, bspw. die Versicherungsleistungen entsprechend einzufordern). Aus Sicht des Franchisegebers kann es sich allenfalls aber lohnen, gefährdeten Vertriebspartnern, die ansonsten einen Mehrwert im System bringen und zukünftig auch bringen werden, unter die Arme zu greifen.

 

Unsere Empfehlungen
  • Wenn noch nicht ins Leben gerufen: Schaffen Sie eine «Corona-Task-Force», welche für sämtliche Anspruchsgruppen (Lieferanten, Mitarbeiter, Franchisenehmer, etc.) Ihres Vertriebssystems zur Verfügung steht.
  • Verschaffen Sie sich Klarheit über Ihre Rechtsposition, um im Streitfall gewappnet zu sein, doch lassen Sie sich nicht nur von rechtlichen Überlegungen leiten.
  • Verschriftlichen Sie - wo notwendig und systemkritisch - Übergangslösungen während der Corona-Krise (etwa Stundungsvereinbarungen mit Vertriebspartnern, Interimslösungen mit Lieferanten).
  • Kommunizieren Sie regelmässig und haben Sie ein offenes Ohr für Ihre Vertriebspartner/Franchisenehmer.

 

Fragen?

Bei Fragen stehen die Geschäftsstellen des Schweizer Franchise Verbands in Zürich und Morges ihren Mitgliedern zu aktuellen Fragen ihres Vertriebs gerne zur Verfügung.

Wir werden auf Wunsch in den kommenden Wochen für Verbandsmitglieder virtuelle Austauschmeetings zur aktuellen Situation organisieren.

 

Melanie Käser, Geschäftsstelle Zürich des Schweizer Franchise Verbands, Rechtsanwältin Streichenberg Rechtsanwälte, Zürich

Dr. Christoph Wildhaber, Geschäftsführer des Schweizer Franchise Verbands, Partner Streichenberg Rechtsanwälte, Zürich

Swiss Distribution

Swiss Distribution ist die Qualitätsgemeinschaft der schweizerischen Vertriebswirtschaft.
 
Wir stehen ein für professionelle Distribution - im Interesse der Mitglieder, aber auch ihrer Vertriebspartner.